Von Windeln verweht: Aus dem Leben einer Hebamme (German Edition) by Esther Howoldt

Von Windeln verweht: Aus dem Leben einer Hebamme (German Edition) by Esther Howoldt

Autor:Esther Howoldt [Howoldt, Esther]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492963329
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2015-01-31T05:00:00+00:00


In einem Kreißsaal erwartet man neues Leben. Empörte Babyschreie über die Unverschämtheit, aus der wohlig-warmen Höhle des Mutterleibs mit seinen gedämpften Geräuschen in eine grelle laute Welt hineingeschubst worden zu sein. Man erwartet zappelnde Ärmchen und in der Luft rudernde Füßchen. Winzige Menschen, die hier ihre Lebensreise antreten, die alles noch vor sich haben. Das erste Wort, das erste Lächeln, das erste Eis, die Schule, die erste Liebe, das Leben eben. Doch wie das so ist mit Erwartungen, manchmal werden sie enttäuscht. Manchmal ist die Lebensreise schon zu Ende, bevor sie richtig angefangen hat. Als Hebamme befällt einen diese Erkenntnis spätestens in der Ausbildung.

Eine solche traurige Begebenheit, die sich in meiner Erinnerung besonders eingebrannt hat, ereignete sich, als ich für einige Monate im Kreißsaal des Marienkrankenhauses im Schichtdienst eingesprungen war.

Ich hatte Nachtdienst und trat pünktlich kurz vor 22 Uhr ins helle Neonlicht des Kreißsaales, die Kollegin vom Spätdienst saß am Schreibtisch hinter dem langen Counter, dem Herzstück unseres Kreißsaalkomplexes. Wäre der Kreißsaal ein Raumschiff, dann wäre dieser Counter die Brücke, das Kontrollzentrum. Hier nehmen nicht nur alle Mitglieder des Teams Platz, um ihre Arbeit zu dokumentieren und die Übergaben von einem Dienst zum nächsten zu besprechen. Ist man gerade allein im Kreißsaal, ist dies auch der Ort, wo man eine Tasse Kaffee oder Tee trinken kann, ohne dabei Gefahr zu laufen, etwas Wichtiges nicht mitzubekommen. Hier befindet sich der Computer, mit dem wir die CTGs überwachen, die die Schwangeren an einem Gurt um den Bauch tragen. Neben den Computermonitoren haben wir von unserer Theke aus auch alle Entbindungszimmer im Blick und können sofort eingreifen, falls es notwendig wird.

Ich grüßte meine Kollegin Heike, die mit ihrem raspelkurzen Haar fast wie ein frecher Lausbub aussah. Heike war eine ebenso junge wie patente Hebamme, die das Herz am rechten Fleck trug, und ich freute mich jedes Mal, wenn wir uns über den Weg liefen. Zunächst verschwand ich in der Umkleide, um mir meinen königsblauen OP-Anzug überzuwerfen, dann schnappte ich mir Zettel und Stift, um bei der Übergabe das Wichtigste mitzuschreiben, und setzte mich an die Theke. Heike rückte etwas näher.

»Okay«, sagte ich. »Leg los!«

Am Gesichtsausdruck meiner Kollegin sah ich sofort, dass es heute wohl nicht so erfreuliche Neuigkeiten gab.

»Also …«, fing sie an. »Wir haben einen Neuzugang bei den Wöchnerinnen. Eine IUFT in der fünfunddreißigsten Woche, noch keine Wehen. Wird wahrscheinlich diese Nacht ruhig bleiben, du wirst mit ihr also wohl nichts zu tun haben. Wir haben uns die Frau angesehen und beschlossen, dass wir erst mal abwarten. Es könnte gut sein, dass es von selbst kommt.«

Ich nickte und notierte. Das waren in der Tat keine schönen Neuigkeiten. Die Abkürzung IUFT steht für »Intrauteriner Fruchttod«, ein Baby, das im Mutterleib gestorben ist. So etwas kommt vor, wenn auch zum Glück nicht allzu häufig. Doch Heike war noch nicht fertig. Sie senkte ihre Stimme ein wenig mehr und flüsterte jetzt beinahe:

»Esther, kannst du dir das vorstellen, die Arme hatte keine Ahnung, dass ihr Baby nicht mehr lebt! Ihr Waschlappen von Frauenarzt war zu feige, es ihr selbst zu sagen und hat sie ›zur Kontrolle‹ zu uns geschickt.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.